StartseitePolitiken der Übersetzung: Aneignung, Kritik, Gastfreundschaft

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Politiken der Übersetzung: Aneignung, Kritik, Gastfreundschaft

Politiques de la traduction : appropriation, critique, hospitalité

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Veröffentlicht am Mittwoch, 30. November 2022

Zusammenfassung

Qui peut et doit décider si un texte doit être traduit, par qui, et dans quelle(s) langue(s) ? L’éditeur·e ? L’auteur·e ? Quels facteurs doivent jouer un rôle dans ces décisions : l’identité de l’auteur·e, son appartenance à un ou plusieurs groupes particuliers ? L’histoire d’une langue nationale est-elle pertinente ? Que penser, par exemple, du refus de l’auteure irlandaise Sally Rooney de collaborer avec des maisons d’édition israéliennes pour des raisons politiques, en empêchant ainsi de facto la traduction de ses œuvres ? Et, de manière générale, quels sont les rapports de force à l'œuvre dans l’acte de traduire ? C’est autour de cette question générale que s’articulera ce colloque, en évaluant les principaux modèles théoriques proposés pour penser la dimension politique de la traduction, à partir de pratiques concrètes, et dans une perspective interdisciplinaire.

Inserat

Junges Forum - Berlin, Centre Marc Bloch, 15.-16. Mai 2023

Präsentation

Lyrik gehört für gewöhnlich nicht zu den Themen, die in der breiten Öffentlichkeit besondere Beachtung erhielten. Dennoch rückte im Frühjahr 2021 die Übersetzung eines Gedichts ins Zentrum medialer Diskussionen, und zwar weit über die üblichen Besprechungen der Feuilletons hinaus.

Den Ausgangspunkt der durchaus hitzig geführten Diskussionen bildete die Übersetzung des Gedichts The Hill we Climb von Amanda Gorman, das diese bei der Inauguration von Joe Biden zum neuen US-Präsidenten vorgetragenen hatte. Es war insbesondere die Frage danach, wer dieses Werk übersetzen solle, die eine globale Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Effekten entfachte. Die ursprüngliche Entscheidung des niederländischen Verlags für den:die weiße, nichtbinäre Schriftsteller:in Marieke Lucas Rijneveld wurde kritisiert. Es wurde vor allem die Frage diskutiert: Darf eine schwarze Autorin von einer weißen Person übersetzt werden?

Was sich an der Debatte dieses speziellen Falls in aller Prägnanz zeigt, gilt für Fragen der Übersetzung und Übersetzbarkeit im Allgemeinen: Wer kann und sollte eigentlich darüber entscheiden, ob und von wem ein Text in welche Sprache übersetzt wird? Der Verlag? Der oder die Autor:in selbst? Welche Faktoren sollten für diese Entscheidungen eine Rolle spielen? Die Identität der Autorin oder des Autors, deren Zugehörigkeit zu einer oder mehreren besonderen Gruppen? Ist die Geschichte einer Nationalsprache relevant? Wie ist etwa das Vorgehen der irischen Autorin Sally Rooney einzuschätzen, die aktuell die Zusammenarbeit mit israelischen Verlagshäusern aus politischen Gründen verweigert und damit de facto eine Übersetzung verhindert? Und überhaupt: Welche Machtverhältnisse sind im Akt des Übersetzens am Werk? 

Um diese allgemeine Frage wird sich diese Tagung drehen, wobei die wichtigsten theoretischen Modelle, die vorgeschlagen wurden, um die politische Dimension der Übersetzung zu denken, anhand konkreter Praktiken in einer interdisziplinären Perspektive bewertet werden sollen. Wir laden daher zu Beitragsvorschlägen zu den folgenden Themen ein:

1) Die Übersetzung als Form der Aneignung

Die Praxis des Übersetzens ist in vielerlei Hinsicht mit Machtverhältnissen und Gewalt verbunden. Diese Gewalt kann zunächst durch historische Forschung dokumentiert werden:  Übersetzungen haben eine wichtige Rolle in Kriegs- oder Kolonialkontexten gespielt – man denke in diesem Zusammenhang an die Arbeit des Dolmetschens als Vermittlung zwischen den Kolonialmächten und den lokalen Mächten, der oft als Verrat wahrgenommen wird. Über diese Dimension hinaus geht es aus einer eher theoretischen Perspektive darum, über die Rolle der Übersetzung als Form der Aneignung und Reduktion von Alterität nachzudenken. Neben der Frage des Einsatzes und der Verwendung von erstellten Übersetzungen scheint es nämlich nahe zu liegen, im Akt des Übersetzens selbst etwas Gewalttätiges und Konfliktives zu sehen, insofern als die Übersetzung immer zwischen zwei verschiedenen Sprachen stattfindet, die aufeinandertreffen, sich aber niemals vollständig in Übereinstimmung bringen lassen können: Es scheint, als es müsste einen Antagonismus zwischen Ausgangs- und Zielsprache, Ausgangs- und Zieltext geben, womit notwendigerweise die Frage einer Auslöschung der Ausgangssprache im Raum steht. Wie lässt sich diese in der Übersetzung am Werk befindliche Konfliktivität, wie die Übersetzungskämpfe denken?

Ein besonderes Interesse hat die Tagung an der Zirkulation von Begriffen und Denkkategorien, die durch die Übersetzung ermöglicht wird. Trägt die Reise der „Konzepte“ – um die Formulierung von Edward Saïd zu paraphrasieren, der von „reisenden Theorien“ spricht (Saïd; Möser, 2013) – nicht dazu bei, dass Denkkategorien sozio-kulturellen Realitäten aufgezwungen werden, die sie nicht wirklich zu denken erlauben? 

2) Die Übersetzung als kritische Instanz

Aber kann die Übersetzung nicht auch eine kritische Kraft sein? Die Übersetzung von einer Sprache in eine andere bringt stets auch eine Verschiebung in der Zielsprache mit sich, eine kritische Distanzierung von einem zuvor nicht hinterfragten Denkrahmen, wie J. Butler es zeigt. Welche Praktiken des Widerstands kann die Übersetzung ermöglichen? Oder, um es anders zu formulieren: kann die Übersetzung als kritische Instanz uns helfen, den Widerstand selbst zu denken bzw. zu problematisieren? Man könnte die transformative Leistung der Übersetzungspraxis in Sinne von emanzipatorischer Kraft betrachten, und daher nicht so sehr – oder zumindest nicht nur – als Verrat.

Unter dieser Rücksicht ist die Übersetzung auch eine Methode zur Verbreitung und Kontextualisierung von Denkrichtungen, die emanzipatorisches Potenzial innehaben können. Inwiefern hat zum Beispiel die Übersetzung von US-amerikanischen Texten, die größtenteils in einem aktivistischen Rahmen stattfand, zur Entstehung und Verbreitung der Gender Studies in Europa beigetragen (Grunenwald, 2021)? Es geht also darum, die potenziell subversive Kraft der Übersetzung und ganz allgemein die politischen und sozialen Herausforderungen, die eine solche Praxis mit sich bringt, zu betrachten.

3) Die Übersetzung als Praxis der Gastfreundschaft

Neben diesen kritischen Perspektiven wird die Übersetzung heute vor allem als ein ethisches Modell verstanden, das auch in verschiedenen institutionellen und politischen Kontexten als solches aufgegriffen wurde. Wie Tiphaine Samoyault in Traduction et violence darlegt, konnte sich diese ethische Konzeption der Übersetzung zunächst in einem Klima des Konsenses zwischen den verschiedenen erfolgreichen Analysen der Übersetzung herausbilden, die ihr fast einhellig einen positiven Wert zuschreiben und ihre gewalttätige Kraft unterschätzen. Je nach Autor oder Autorin wird die Übersetzung ein Ort, an dem es möglich ist, wieder über die Wahrheit zu sprechen (H.-G. Gadamer), oder sie wird zur Gelegenheit, das Denken neu zu denken (W. Benjamin), zum Raum der Gastfreundschaft gegenüber dem Anderen (A. Berman, P. Ricoeur), oder zur Garantie der Pluralität in einer Zeit der erzwungenen Homogenisierung (B. Cassin). Die Übersetzung wird so ein ethischer

Raum für das Gelingen oder Lösen der Konflikte, in dem die Kräfteverhältnisse, die andere Lebensbereiche kennzeichnen, die in politische Beziehungen eingebettet sind, gelockert oder verschoben werden. Aber hat es einen solchen Ort jemals gegeben? Gibt es Praktiken der Gastfreundschaft, die durch die Übersetzung ermöglicht wurden, und wenn ja, in welchen Formen? Und kann man, wenn man von der Übersetzung als „Kompromiss“ (Derrida) oder als „Verhandlung“ (Eco) spricht, nicht die immer nur partielle Seite dieser Praktiken erfassen, aber gleichzeitig auch eine andere Art von Einheit denken, in welche den Unterschieden bewahrt werden und nebeneinander bestehen?

Teilnahmevoraussetzungen

Die Tagung richtet sich an Nachwuchswissenschaftler:innen, Doktorand:innen und Post-Docs, die in den benannten Themengebieten forschen. Die zu diskutierenden Themen sollen durch 30-minütige Diskussionsbeiträge vorgestellt werden, denen sich ein weiterer Beitrag sowie eine halbstündige Diskussion anschließt.

Die Beiträge können sich auch an die Analyse von Einzelfallstudien richten und eventuell nicht an traditionellen Ausstellungsformen angleichen: Vorschläge von Video, Installation, künstlerischen Darstellungen, Performance usw. sind gleichfalls willkommen.

Jede:r Teilnehmer:in trägt dabei in der Sprache seiner/ihrer Wahl vor, d.h. Französisch oder Deutsch, ausnahmsweise Englisch. Die Teilnahme setzt darüber hinaus hinreichende, zumindest passive Sprachkenntnisse in der jeweils anderen Sprache voraus.

Wenn Sie an der Tagung teilnehmen möchten, bitten wir Sie, eine Zusammenfassung Ihres Diskussionsbeitrags (max. 500 Wörter; auf Deutsch oder Französisch, ausnahmsweise Englisch) sowie eine kurze Biographie (zwei bis drei Zeilen), die ihren akademischen Werdegang, laufende Forschungsarbeiten und ihre Sprachkenntnisse beschreibt, spätestens folgende Email-Adresse zu schicken: uebersetzungsseminar@gmail.com

bis zum 31. Januar 2023 an.

Unter diesem Adresse stehen wir auch für Rückfragen zur Verfügung.

Übernahme von Kosten: Die Reise- und Unterkunftskosten können übernommen werden, soweit es das Projektbudget ermöglicht.

Keynote-Speaker:in

  • Cécile Canut (Université de Paris);
  • Eleonora Caramelli (Università di Bologna, CMB);
  • Saša Hrnjez (Università di Padova).

Organisator:innen

  • Alessandro Colleoni (Fondazione San Carlo, CRAL-EHESS, CMB),
  • Elise Huchet (Université Paris-Cité, CMB),
  • Silvia Pieroni (Università di Bologna)
  • , Lilja Walliser (Freie Universität Berlin).

Orte

  • Centre Marc Bloch
    Berlin, Germany

Veranstaltungsformat

Veranstaltung vor Ort


Daten

  • Dienstag, 31. Januar 2023

Schlüsselwörter

  • traduction, appropriation, hospitalité, critique

Kontakt

  • Elise Huchet
    courriel : elise [dot] huchet [at] gmail [dot] com

Informationsquelle

  • Elise Huchet
    courriel : elise [dot] huchet [at] gmail [dot] com

Lizenz

CC0-1.0 Diese Anzeige wird unter den Bedingungen der Creative Commons CC0 1.0 Universell .

Zitierhinweise

« Politiken der Übersetzung: Aneignung, Kritik, Gastfreundschaft », Beitragsaufruf, Calenda, Veröffentlicht am Mittwoch, 30. November 2022, https://doi.org/10.58079/1a37

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